Börse und Schule

Meine Tochter, die vor wenigen Wochen siebzehn Jahre alt wurde, muss in diesem Semester das Fach ´personal finance´ an ihrer öffentlichen High School belegen. Ich war sogleich neugierig, welche Themen dort behandelt würden. Aber wie begeistert war ich, als es hieß, es gehe in den ersten Wochen des Quartals vor allem um Investment und zwar in Aktien. Sogleich erkundigte ich mich über den Lehrer. Hierzu hieß es, der Lehrer sei ein vormaliger Banker bei JP Morgan gewesen. Mit fünfundvierzig Jahren sei er dort ausgestiegen und wolle nun als Lehrer sein Wissen an die junge Generation weitergeben.

Seine erste Aufgabe an die Schulklasse bestand darin, ein Aktienportfolio im Rahmen eines Börsenspiels aufzubauen. Jeder Schüler bekam ein fiktives Spielgeld von 100.000 Dollar. Ziel ist es, das eingesetzte Geld bis zum Ende des Schuljahres im Juni zu mehren.

Zwei Wochen später kam meine Tochter nach Hause mit der Aufgabe, zwei Unternehmen – es durften nicht die nach Marktkapitalisierung größten zwanzig Unternehmen an der Börse sein - auszuwählen und der Klasse vorzustellen. Sie wählte die Kaffeekette Starbucks und den Sportbekleidungshersteller Lululemon, weil sie mit beiden Unternehmen bereits als Kundin Berührungen hatte. Es wurde jeweils eine Übersicht erstellt wo Geschäftsfeld, Umsatz, Börsenticker, Gewinn pro Aktie und Dividende pro Aktie verzeichnet wurden. In einem kurzen Aufsatz war zu begründen, warum diese Titel gewählt wurden und was die Aktie vermeintlich attraktiv macht.

In der letzten Woche bestanden die Hausaufgaben darin, aus einer vom Lehrer vorgegebenen Liste von zehn Aktien eine Kauf- und eine Leerverkaufsposition auszuwählen. Inzwischen war die Klasse mit dem Konzept des Leerverkaufs und der Wertpapierleihe bekannt gemacht worden. Meine Tochter wählte Pepsico als Kauf- und Roblox als Short-Kandidaten. Es musste jeweils ein Argumentarium erstellt werden.

Ich hätte mir gewünscht, dass ich in meiner Schulzeit in solcher Weise in das Wesen des Aktienmarktes eingeführt worden wäre. Aber es hat ja seine Gründe, warum sich in Deutschland keine lebhafte und vor allem aufgeklärte Aktienkultur gebildet hat. Wer nach den Gründen fragt, warum die private Vermögensentwicklung in Deutschland viel schwächer ausfällt als in den Vereinigten Staaten, der muss in den Schulen anfangen, nach Ursachen zu suchen. Das reicht aber nicht aus. In Amerika bekennt man sich dazu, dass Eigentum und Wohlstand gut und förderungswürdig sind. Erfolg wird bewundert, sofern er redlich erarbeitet wurde. Die Schwarmintelligenz von Märkten wird der staatlichen Lenkung in Fragen der Kapitalallokation vorgezogen.


Aus Chicago

Ihr

Dr. Christoph Bruns